Seit 2020 bin ich offiziell in Rente. Langsam wollte ich mich zurückziehen und mehr Zeit für mich genießen. Aber schnell merkte ich das mir was abgeht.
So folge ich dem Rat vieler Seminarteilnehmer und pflegender Angehörige meine Erlebnisse und Erfahrungen mit Patienten und Angehörigen, aber auch Pflegeerfahrungen im Klinikalltag nieder zu schreiben. Eine Zeitlang liebäugelte ich mit einem Buch, aber da steh ich mir selbst noch im Weg. Es sind die vielfältigen Erfahrungen, sie lassen sich in kein Korsett zwängen. Ich habe mir zu sehr angewöhnt, eine Erfahrung/ein Erleben aus mindestens 2 Perspektiven zu betrachten und jede Perspektive hat wiederum mehrere Aspekte. Es ist jedes mal ein Brainstorming, wie soll das in Buchform gelingen?😉So schreibe ich regelmäßig bis unregelmäßig meine Notizen und Gedanken in das digitale Notizbuch. Ich freue mich, wenn Anregungen und Impulse hilfreich für Ihre Pflegesituation und Pflegealltag sind.
Allgemein:
wie aus meiner Homepage zu ersehen ist, arbeite ich nach dem Konzept Basale Stimulation. Das Konzept, entwickelt in den 70-iger Jahren in einer Fördereinrichtung für Kinder und Jugendliche, geht davon aus, das sich jeder Mensch, unabhängig seiner Einschränkung, entwickeln kann. Wichtige Erkenntnis:
1. er muss es selbst wollen
2. es gibt fördernde und hindernde Umgebungs- und Umgebungsgestaltung
3. es gibt fördernde und hindernde Beziehungsgestaltung.
Als ich 1994 nach der 1. Theoriewoche wieder im Pflegealltag tätig war, wurde mir deutlich, was Prof. Fröhlich uns schon zu Beginn näher bringen wollte mit der Aussage: Gut meinende Pflege ist nicht zwingend gute Pflege. Gute Pflege bekam für mich über die Zeit eine ganz neue Bedeutung, zugleich war es für mich ein schwieriger Lernprozess. In meiner gutmeinenden Pflege merkte ich nicht, was ich überstülpte, sah nur den Erfolg und der gab mir recht. Ich hatte es geschafft, das der Patient wieder wollte, merkte dabei nicht die Abhängigkeit, in die ich den Patienten, aber auch mich brachte – nie wäre ich auf die Idee gekommen.
Raum geben für eigene Entwicklung, Raum geben für – es selbst zu wollen, ermöglicht ein Gleichgewicht von Verantwortung und Selbstbestimmung – er/sie/das Kind darf sich dafür oder dagegen entscheiden. Meine Aufgabe besteht darin, Situationen so zu gestalten, dass durch Verstehen eine Entscheidung und ein Wollen (-in welche Richtung auch immer) möglich werden kann. Selbst in einem Sterbeprozess kann dies ein elementarer Anteil sein.
14.12.2023
Zu Beginn schrieb ich, dass ich jetzt wirklich in Rente gehe. Das dachte ich damals auch. Corana bedingt fuhr alles runter, Seminare fanden nicht mehr statt und so dachte ich eigentlich langsam ans aufhören und lieber schreiben. Mittlerweile füllt mich die Pflegeberatung nach §37 aus und die Nachfrage an Seminaren hat auch wieder zugenommen. Im September 2023 kam noch ein Umzug im privaten dazu, was auch einiges abverlangte.
Im Magen lag mir das Notizbuch, in dem ich regelmäßig schreiben wollte. Ab jetzt schreibe ich sporadisch, wenn es mir die Zeit gut erlaubt.
FÖRDERNDE UND HINDERNDE BEZIEHUNGSSITUATIONEN
In den Beratungssituationen wird mir noch mehr der Schatz des Konzeptes Basales Stimulation bewusst.
Beziehungssituation habe ich bisher nicht so nah erlebt.
Eine Pflegesituation verändert die Konstellation einer Beziehung. Eine im „normalen“ Alltag eingespielte Beziehung verändert sich durch chronische Erkrankung oder Pflegeabhängigkeit eines Familienmitgliedes und ganz besonders wenn es den Ehepartner betrifft. Die Aufgabenverteilung, Verantwortlichkeiten alles verändert sich. Plötzlich muss der gesunde Part zusätzliche Tätigkeiten übernehmen, Entscheidungen treffen, zugleich ist die Sorge um den Erkrankten und Pflegebedürftigen stark im Vordergrund. Der Gesunde kann schnell im Strudel der Anforderungen des Alltags mitgerissen werden und sich selbst verlieren. Statt zu leben beginnt ein funktionieren um aufrechtzuhalten was gehalten werden muss.
Heute war für mich ganz stark der Wunsch zum Thema „Beziehung“ kurze Impulse zu setzen anhand eigener Erfahrung.
Arbeiten nach dem Konzept Basale Stimulation bedeutet unter anderem – in Beziehung gehen, eine sinngebende Beziehungsebene herstellen bzw. der Beziehung einen Sinn geben der für beide Beteiligten Offenheit ermöglicht.
Aussage einer Pflegekraft: Erst durch die vorsichtige, langsam herantastende Anwendung der basalen Stimulation war es für mich möglich, mit dem Patienten in Kontakt zu treten, mit dem Menschen zu kommunizieren. Verbal Informationen zu geben erschien mir wichtig, trat aber in den Hintergrund. Meine Hände traten in den Vordergrund und ermöglichten nun die Kommunikation. Den Patienten darauf aufmerksam zu machen, seinen Körper, sich selbst zu spüren und nicht nur Hilflosigkeit (….) wahrzunehmen.
Das Bedürfnis nach Sicherheit mit dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Freiheit und Autonomie in Einklang bringen.
In meiner gutmeinenden Pflege übersah und übertrat ich, ohne mir dessen bewusst zu sein, die Schamgrenze in Gesprächen. Intimsphäre wahren ist in der Pflege eine Selbstverständlichkeit. Jemand zu beschämen geschieht meist unbedacht und ungewollt. Das heimtückische ist, das es ein unbedachter Blick sein kann. Worte können verletzen, Blicke noch viel mehr.
Tragisch sind mögliche Folgen: z.B. kann sich in Folge eine Schamlosigkeit beim Patienten entwickeln. Selbst Angehörige sind entsetzt über dieses Verhalten, so kennen sie ihn nicht. Schnell wird das Krankheitsbild verantwortlich gemacht. Somit hat man eine Entschuldigung, allerdings brauche ich dann auch nicht mein Verhalten zu hinterfragen – es ist halt so.
Dieses wiederum kann beim „Patienten“ zu einem innerlichen Rückzug führen, zu einer sozialen Isolierung. Kontakte werden zunehmend gemieden. Auch hier stößt das Verhalten meist auf großes Unverständnis.
Angehörige kennen solche Situationen zu genüge. „Man tut doch alles und meint es doch nur gut“, aber er will nicht hören.
Verleugnung und Verneinung von Situationen (z.B. die Hose ist nicht nass; ich habe das nicht getan; ich habe schon die Tabletten genommen) können Angehörige zur Verzweiflung bringen.
Die Antwort und Lösung in solchen Situationen ist einfach und klingt zugleich sehr ironisch.
Die Verzweiflung ist der gemeinsame Nenner.
Jeder der Beteiligten hat das Gefühl nicht gehört zu werden, nicht in seinem Erleben verstanden zu werden.
Was tun?
Der Gesunde muss Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen übernehmen. Nur wenn es ihm gut geht, kann es auch dem Patienten gut gehen, nur dann hat der Gesunde die Nerven und die Offenheit für das wie es dem Patienten wirklich geht.
Als Nicht-Erkrankter kann ich innerlich einen Schritt zurückgehen. Mein Gehirn ist Intakt. Ich habe die Möglichkeit aus der Situation rauszugehen, zu reflektieren – eigene Anteile und Anteile aller Beteiligten, eine unbewusste Erwartungshaltung zu überprüfen, auch geheimen Wünsche z.B. das alles beim Alten wäre, das keine Erkrankung und kein unerklärliches Verhalten den Alltag erschwert.
Beim genaueren und ehrlichem Betrachten kann die eigene Begrenztheit in der Situation zu Tage kommen, die man sich oft nicht erlaubt (man muss ja funktionieren). Auch die eigene Verletztheit. Nicht selten erschweren auch verborgene Schuldzuweisungen die Situation. Der innere Konflikt, mein Erleben entspricht nicht dem was der Verstand vorgibt. Auch das ist eine Form der Verleugnung und ein gemeinsamer Nenner. Alle Beteiligten könnten auf die Situation verzichten, aber sie ist nun mal gegeben und ich muss mich dem stellen – so schwer es ist.
Wenn die (ungewollten) Gemeinsamkeiten an emotionalen Erleben erkennbar werden, kann sich ein neues Verstehen entwickeln und ein Miteinander entstehen.